2001 habe ich zum ersten Mal eine Achtergruppe in der verlässlichen Grundschule unterrichtet. Manche dieser Gruppen, die ab der dritten Klasse dann in den Nachmittag wechseln, liefen sehr gut und Jahre lang, einige wenige funktionierten nicht so toll und verkleinerten sich schnell oder die Kinder hörten alle bald auf.
Jedenfalls kann ich über Mangel an Erfahrung mit großen Gruppen und Kooperation im Vormittagsbetrieb der Grundschulen nicht klagen.
Trotzdem war mir ein bisschen mulmig, als mir ein Abenteuer ganz anderer Qualität angetragen wurde: Nach den Sommerferien 2014 sollte ich in Teamarbeit mit dem Klassenlehrer, Herrn Huxhold, in Wildeshausen im Rahmen des Musikalisierungsprojektes eine komplette 4. Klasse in „Musik mit Gitarre“ zu unterrichten. 21 Kinder!
Es gibt zwei Musikstunden in der Woche; die eine macht Herr Huxhold alleine, für die andere komme ich in die Schule. Absprachen wegen der Vorbereitung und der Noten treffen wir direkt im Gespräch oder per E-Mail.
Man fragt sich natürlich sofort: wie kann das gehen? Abgesehen davon, dass 21 Kinder ziemlich viele sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nicht alle vom selber Musizieren begeistert sein werden.
Und einige der Kinder haben schon in der zweiten Klasse im Rahmen der „verlässlichen Grundschule“ mit Gitarrenunterricht begonnen und spielen teils noch, einige haben aufgehört…
Aber herausfordernde Gruppen haben mich schon immer angezogen, und die vorbereitende Begegnung mit dem Klassenlehrer, der selber auch Gitarre spielt war sehr ermutigend, also – hinein ins Vergnügen!
Ein Teil der Kinder im Klassenraum – man sieht schon: hier ist nicht genug Platz! (fröhliche Fußbälle, weil bei einigen Kindern keine Erlaubnis der Eltern wegen Bildern im WEB besteht)
Die Klasse und ihr Lehrer
Diese 4. Klasse – wie soll man sie beschreiben? Klassen sind ja als gesamte Gruppe unterschiedlich, die eine eher laut, die andere eher ruhig… also, diese 4. Klasse ist sehr nett! Die Kinder sind freundlich, höflich und können sich benehmen. Das war mein erster Eindruck, und der hat sich nach über einem halben Jahr immer wieder bestätigt.
Natürlich macht mal jemand Quatsch, natürlich hat mal jemand keine Lust, es sind auch nicht alle gleich interessiert, aber der Gesamteindruck ist eine positive Grundhaltung. Gezieltes Stören gibt es eigentlich nicht.
An dieser guten Erziehung hat der Klassenlehrer großen Anteil. Er macht klare Ansagen und hat gute Regeln für Gesprächskultur eingeführt, an die er immer wieder erinnert. Er begründet, warum man zuhört, wenn jemand etwas sagen möchte, warum man sich meldet und nicht einfach in die Klasse ruft, erklärt den Kindern, dass man als Lehrer nicht lange gegen einen hohen Lärmpegel ansprechen kann.
Tatsächlich sind meine Stimmbänder nach dieser Unterrichtsstunde weniger strapaziert als nach so mancher Gruppe mit sechs bis neun Mitgliedern, und ich gehe immer fröhlicher aus der Stunde heraus als ich kam! Die Arbeit ist anstrengend, erfordert andere Vorbereitung als sonst, aber sie macht Spaß!
Die Instrumente
Vorab mussten 21 Gitarren aus dem Musikschullager nach Größe ausgesucht, überprüft, gestimmt und zum Teil für Linkshänder umbesaitet und in die Schule getragen werden. Die Abteilung „mittelgroße Gitarren“ wurde regelrecht geplündert, aber es sind auch genug kleine Gitarren dabei: Viertklässler sind sehr unterschiedlich groß!
Das „Gitarrenlager“. An zwei Tagen bleiben die Instrumente in der Schule, den Rest der Woche werden sie zum Üben mit nach Hause genommen.
Vorbereitung der Unterrichtsstunde
Schnell war klar: im Klassenraum ist mit Gitarren und Noten nicht genug Platz. Aber die Schule hat einen kleinen Saal, der für Musik und kleine Vorführungen ausgestattet ist.
Zu Beginn der Stunde bauen die Kinder sehr selbständig eine Hufeisen-Sitzordnung mit Tischen für die Notenmappen. Das geht schnell und klappt reibungslos.
Alle packen mit an!
Dann müssen die Gitarren ja gestimmt werden. 23 Gitarren à 6 Saiten – das dauert lange, aber zum Glück halten Gitarren die Stimmung ziemlich gut, wenn man nett zu ihnen ist und auf ihnen übt. Außerdem hat Herr Huxhold Stimmgeräte bestellt, die zu Beginn der Stunde herum gegeben werden.
Dabei gibt es natürlich das Problem, dass die Kinder vor allem auf die Pfeilanzeige „höher / tiefer“ achten, und nicht immer auf den angezeigten Ton. So hat man manchmal E-Saiten, die auf C, oder A-Saiten, die auf G gestimmt sind…
Das Stimmgerät: fest klemmen und anschalten…
und dann genau lesen, was die Anzeige sagt!
An die Arbeit!
Für die Unterrichtspraxis ist es ein großer Vorteil, zu zweit zu arbeiten, gerade wenn es um so etwas Praktisches wie Gitarre spielen in der Gruppe geht. Während einer der Lehrer laut mitspielt, mitsingt, Zählzeiten ansagt, geht der andere herum und gibt dem einzelnen Schüler Hilfen und Tipps, oder zeigt zusätzlich den zu spielenden Akkord auf dem Whiteboard an.
Herr Huxhold im Einsatz.
Lieder, Akkorde, Noten
Angefangen haben wir mit Liedbegleitung. D-Dur und A-Dur waren die ersten Akkorde, ziemlich bald kamen E-Moll und A-Moll dazu, und „He-jo, spann den Wagen an“ zu begleiten und dabei dreistimmig Kanon zu singen war ein großes Erfolgserlebnis.
Inzwischen können wir eine ganze Reihe Akkorde und Lieder, dem Hausmeister wird zum Geburtstag zwischendurch ein Ständchen gebracht, und beim Üben fällt mir immer wieder auf, dass viele der Kinder die Griffe auch wirklich flott und richtig wechseln.
Abwechselnd mit den Akkordübungen beschäftigen wir uns mit Melodiespiel und Notenlehre – darüber wird sogar ein Test geschrieben.
Auftritt und Pressetermin
Das erste große Ziel, die erste Aufführung fand im Zusammenhang mit Weihnachten statt: bei einer Adventsfeier in der Turnhalle spielte die Klasse zwei Lieder, eine andere Gruppe half singen.
Nach einem Besuch der Presse mit Fototermin und Interview mit Schulleitung, Musikschulleiter und Förderkreis der Schule haben wir noch unser Gruppenbild gemacht:
Ich bin natürlich gespannt, wie es weiter geht, wie weit wir kommen, und ob sich nach dem Ende des Schuljahres Kinder zum Gitarrenunterricht anmelden, die vorher noch nicht auf die Idee gekommen waren.
Ganz abgesehen davon bin ich sehr froh, dieses Angebot wahrgenommen zu haben! Ich habe über die Arbeit mit großen Gruppen von Herrn Huxhold viel, viel gelernt, und ich kann nur jedem Kollegen raten, so etwas mal zu machen. Je früher, desto besser! Es ist etwas völlig anderes als die Arbeit mit einem begabten Einzelschüler, der vielleicht an „Jugend musiziert“ teilnimmt, und es macht wirklich Freude!
Bericht: Ulrich Meyer